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Gewaltpräventationskonzept

 

Aggressionen, Misshandlungen und Gewalt gegen Pflegebedürftige, als auch gegen Pflegende, sind ein gesellschaftliches Problem, welches immer noch häufig tabuisiert wird. Aggression ist eine lebenserhaltende, aktive Energie die folgendes zum Ausdruck bringen soll.

 „Ich will etwas“ ... und verschaffe es mir
 „Ich will etwas nicht“ ... und wehre es ab

Gewalt ist alles das, was den Menschen in seiner Individualität einschränkt, ihn zwingt bzw. zwingen soll, etwas gegen seinen Willen zu tun, oder gegen seinen Willen zu unterlassen.
Eine Alternativdefinition von Gewalt bringt aber auch hervor, dass der Einsatz wie auch immer gearteter Zwangsmittel mit dem Ziel, einen Menschen gegen seinen Willen zu einer Verhaltensveränderung zu bewegen, zu beachten ist.

Was Gewalt ist, hängt von unserem subjektiven Empfinden ab. Gesellschaftliche und kulturelle Normen spielen dabei eine große Rolle. Gewalt hat viele unterschiedliche Gesichter: Anschreien und ruppig sein zählt genauso zu Gewalt, wie jemanden aus Bequemlichkeit falsch anzuziehen oder ihn zu ignorieren. Manchmal ist die Anwendung von Gewalt gar nicht beabsichtigt, oder wird nicht als solche verstanden.

Ursachen und Auslöser von Gewalt durch Pflegende

Häufig entstehen Gewalt und Aggressionen aus der Summe verschiedener Faktoren bzw. Häufung der Belastungsfaktoren. Das Überschreiten der Belastungsgrenze führt dann zum vorübergehenden Wegfall der Hemmschwelle.

  • individuelle Belastungsfaktoren, Hilflosigkeit
  • berufliche und/oder familiäre Probleme
  • schlechtes Betriebsklima
  • Überlastung/Burn-Out aufgrund Zeitdruck
  • Schlafdefizit, etc.
  • soziale Vereinsamung aufgrund der Pflegetätigkeit (pflegende Angehörige)
  • finanzielle, soziale, gesundheitliche Probleme
  • Aggressionen
  • Beschuldigungen oder körperliche Angriffe (unbewusst/bewusst oder krankheitsbedingt) des Pflegebedürftigen gegen Pflegende

Ursachen und Auslöser für Gewalt gegen Pflegende

Für viele Beschäftigte in Betreuungs- und Pflegeberufen gehört die Erfahrung von Aggressivität oder Gewalttätigkeit durch Patienten, Pflegebedürftige und Betreute zum beruflichen Alltag. Neben den körperlichen Folgen dieser Angriffe gegen Pflegende, können diese auch eine subjektiv empfundene Verletzung der persönlichen Integrität sowie Angst, Kränkungs-, Entwertungs- und Bedrohungsgefühle hervorrufen, die bis zur psychischen Traumatisierung Betroffener führen können. Gesundheitliche Schädigungen durch Angriffe von Patienten und Pflegebedürftigen stellen im Sinne des Arbeitnehmerschutzes, Arbeitsunfälle dar. Dabei ist neben der körperlich-organischer Gesundheit auch die geistig-seelische Gesundheit in gleicher Weise geschütztes Rechtsgut. Damit unterliegen Gesundheitsschäden durch Patientenübergriffe dem Präventionsauftrag der Unfallversicherungen.

Krankheitsbedingte Verhaltensänderungen (früher geübte Arten der Konfliktbewältigung stehen nicht mehr zur Verfügung)

  • fehlende Lebensqualität, Unzufriedenheit, Hadern mit dem eigenen Schicksal
  • starke Abhängigkeit (Rollenwechsel) und fehlende Selbstbestimmung
  • Hilflosigkeit, Angst, Verzweiflung
  • Freiheitsentzug
  • Medikamente
  • Milieu, z.B. Reizüberflutung, Unruhe, etc.
  • Bedrohung
  • niedriges Selbstwertgefühl

Arten von Gewalt

Gewalt in der Pflege wird ausgeübt durch

  • Pflegepersonal und pflegende Angehörige gegenüber Pflegebedürftigen
  • Pflegebedürftige gegenüber Pflegepersonal oder pflegenden Angehörigen
  • Pflegebedürftige gegenüber anderen Pflegebedürftigen, z. B. Mitbewohner eines Pflegeheims

Wenn Pflegebedürftige der Gefahr ausgesetzt sind, sich selbst zu verletzen, kann z. B. das Fixieren rechtlich und auch ethisch legitimiert sein. Oberste Priorität sollte aber immer die leibliche und geistige Unversehrtheit des Pflegebedürftigen und aller Pflegenden sein.

Körperliche Gewalt

Körperliche Gewalt zählt zu den schwerwiegendsten Formen der Gewaltausübung in der Pflege und könnte sich durch folgende Beispiele bemerkbar machen.

  • grob oder zu fest anfassen, schlagen, kratzen, schütteln
  • unbequem hinsetzen oder hinlegen
  • unerlaubt oder häufig freiheitsentziehende Maßnahmen anwenden
  • unangemessen unterstützen, z. B. zu schnell oder zu ruckartig
  • mit zu heißem oder zu kaltem Wasser waschen
  • beim Verbandswechsel oder der Versorgung eines Dekubitus unachtsam sein
  • zu schnelle Verabreichung von Nahrung: „stopfen“, keine Schluckpausen lassen
  • zum Essen zwingen
  • bei einer Inkontinenz zur Verwendung von Kontinenzhosen (auch Windelhosen genannt) oder Dauerkatheter zwingen, um nicht zur Toilette begleiten zu müssen
  • eigenmächtige Entfernung von Kotsteinen ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt (Straftatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung)
  • in einem Raum einschließen
  • Bettgitter oder Stecktische anwenden, ohne einen triftigen Grund zu haben
  • ungewünschte und nicht verordnete Medikamente geben, um die pflegebedürftige Person ruhig zu stellen
  • absichtlich Hindernisse in den Raum stellen, um den Bewegungsradius der Person einzuschränken
  • Nahrungs- und Flüssigkeitsentzug, um nicht zu oft Inkontinenzmaterial wechseln zu müssen
  • Hilfsmittel wie Klingel, Brille, Prothese oder Gehstock wegnehmen

Psychische Gewalt und falsche Kommunikation

Beispiele für psychische Gewalt in der Pflege oder eine falsche Kommunikation können sein

  • unangemessenes Ansprechen: anschreien, schimpfen oder rügen
  • die pflegebedürftige Person missachten oder ignorieren
  • über Tagesablauf, Beschäftigung oder Kontakte entscheiden
  • über den Kopf hinweg sprechen/nicht ausreden lassen
  • Bedürfnisse bagatellisieren, z. B. durch die Aussage „stellen Sie sich nicht so an“
  • unangemessene Sprache benutzen: duzen, „Lätzchen“, „Pampers“/“Windeln“
  • ein Zimmer betreten, ohne davor anzuklopfen
  • Blickkontakt vermeiden
  • die pflegebedürftige Person wie ein Kind ansprechen oder behandeln
  • religiöse Vorschriften missachten
  • die Nachtruhe stören, z. B. wenn zwei Personen in einem Zimmer untergebracht sind und eine Person viel Betreuung braucht
  • Kontakte zu anderen Menschen erzwingen/verweigern

Vernachlässigung

Beispiele für Vernachlässigung in der Pflege können sein

  • schlecht pflegen oder medizinisch versorgen, z. B. mangelhafte Wundversorgung
  • unzureichend im Alltag helfen
  • emotionale Bedürfnisse übergehen
  • lange auf Hilfe warten lassen
  • Bewegung verweigern, z. B. aufstehen und gehen
  • Kleidung nicht wechseln
  • nicht bei der Körperpflege unterstützen
  • „gefährliche Pflege“: nicht richtig beaufsichtigen, bspw. beim duschen
  • vorenthalten von Zahnprothesen
  • jemanden falsch kleiden (nicht die eigene Wäsche, nicht wettergerecht oder einen fremden, ungewohnten Stil anziehen)
  • das Tragen von Nachtwäsche tagsüber
  • ignorieren von Gefahrenquellen

Finanzielle Ausnutzung

Beispiele für die finanzielle Ausnutzung in der Pflege können sein

  • unbefugt über persönliches Vermögen des Pflegebedürftigen verfügen
  • den Pflegebedürftigen zu Geldgeschenken überreden oder nötigen
  • Geld oder Wertgegenstände entwerten
  • über Finanzen der pflegebedürftigen Person bestimmen, z. B. Geld vorenthalten
  • Informationen vorenthalten

Intime Übergriffe

Beispiele für intime Übergriffe können sein

  • ungefragt Briefe für die pflegebedürftige Person öffnen
  • Hilfe bei der Körperpflege bei offener Tür leisten
  • Schamgefühle oder Intimsphäre verletzen
  • sexuelle Andeutungen machen
  • Intimkontakte verlangen oder erzwingen

Strukturelle Gewalt

Unter der strukturellen Gewalt, versteht man eine „verdeckte“ Gewaltform, die indirekt und damit unabhängig von Personen existieren kann. Allerdings fördert die indirekte Gewalt oftmals das reale Handlungsgeschehen. Im Hinblick auf die Pflege und Betreuung zählen zu dieser Gewaltform durchaus

  • eine unzureichende Personalausstattung
  • Missachtung der Auslegung des Betreuungsrechtes zu Ungunsten des Betreuten
  • eine unzureichende Diagnostik und Behandlung aufgrund minimaler finanzieller Ressourcen
  • eine überstürzte Heimunterbringung

Gewaltausübung durch zu Pflegende

 Schlagen, kratzen, beißen, treten, stoßen, an den Haaren ziehen

  • mit Fenstern und Türen knallen
  • mit Kleidern und Gegenständen werfen
  • Gegenstände zerstören
  • Durcheinander anrichten
  • Mehrarbeit provozieren (z.B. absichtliches Verschütten, absichtliches Einnässen)
  • ständig klingeln
  • Wände beschmieren
  • unnötige Unselbständigkeit
  • boykottieren des Pflegeprogramms
  • permanentes Nörgeln und Klagen
  • übertriebene Erwartungshaltungen bzw. Forderungen
  • sexuelle Belästigung
  • Autoaggression

Die Thematisierung von Gewalt birgt dabei einige „Fallen“ wie z.B.

  • Umdeutungsfalle: Gewalt wird exklusiv personalisiert, generell pathologisiert oder biologisiert und berücksichtigt dabei nicht mögliche soziale und moralische Aspekte.
  • Skandalisierungsfalle: die Wahl von spektakulärem Vokabular soll schnelleres Gehör in der Öffentlichkeit schaffen.
  • Inflationsfalle: es wird der Eindruck geschaffen, dass es kaum noch gewaltarme oder –freie Bereiche gibt.
  • Moralisierungsfalle: ein „schwarz-weiß-Denken“, welches nach einer einfachen Opfer-Täter Schematik vorgeht, moralisierend nach „Gut“ und „Böse“ unterscheidet und die Mehrdimensionalität von Auslösern und Handlungen aus dem Blick verliert.
  • Normalitätsfalle: gewalttätige Handlungen von bestimmten Gruppierungen werden als „normal“ begriffen und somit verharmlost.
  • Reduktionsfalle: Gewalt wird auf einfache Erklärungsschemata oder eine persönliche Eigenschaft einer Person reduziert.
  • Ziel des Gewaltpräventionprojektes im SWH Stadtwald

Ziel dieses Projektes ist, dass „Gewalt in der Pflege“ in allen Sparten des SWH Stadtwald als Objekt der Vielschichtigkeit erkannt und ein sensibler offener gemeinsamer Umgang gelebt wird. Dabei soll die Prävention vor Machtmissbrauch, Wahrnehmen von herausfordernden Situationen, Erkennen von Stärken aufgearbeitet und gemeinsam im Team gelöst. Alle Leitungsebenen unterstützen die MitarbeiterInnen.

Zielgruppen

Primär: Pflege- und BetreuungsmitarbeiterInnen
Sekundär: Bewohner:innen

Erfassen der Problembereiche – Reflexion

  • Brennpunkte darstellen
  • gemeinsame Begriffsdefinition von Gewalt, Aggression, Grenzen
  • Kommunikationsstrategien aufzeigen

Wirkung - Wechselwirkung

Um effizient Gewaltprävention im SWH Stadtwald implementieren zu können, ist es von äußerster Wichtigkeit die Mitarbeiter:innen in ihrem Arbeitsleben wahrzunehmen. Durch das Aufarbeiten der belastenden Situationen, Anbieten von Hilfe, Unterstützung zur Selbsthilfe unter Aufbereitung einer externen Beraterin sollen die oben genannten Ziel erreicht werden. Zum Sicherstellen der Nachhaltigkeit sollen gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen Werkzeuge, Strategien und ein Meldewesen entwickelt werden.

 Projektorganisation

Externe Beraterin startet gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen und Führungskräften in einer Kick off – Veranstaltung in das Projekt. In diesem Rahmen werden die Mitarbeiter:innen über die Vorgehensweise aufgeklärt und zum Thema hingeführt.
Start: Kick – Off Veranstaltung am 10.01.2019
Meilenstein 1: Ist – Zustandserhebung am 18.12.2018: erfassen der Belastungsfaktoren
Meilenstein 2: Auswertung der Belastungsfaktoren bis 21.2.2019
Meilenstein 3: je MA soll die Genannten Belastungsfaktoren und deren Häufigkeit im Dienst über den Zeitraum eines Monats erfassen und niederschreiben vom 1. – 31.3.2019
Meilenstein 3: Präsentation der Auswertung am 8.4.2019
Meilenstein 4: Teamworkshop Regenbogen am 24.4.2019
Meilenstein 5: Gewaltpräventionsfolder erstellt 6.5.2019
Meilenstein 6: Teamworkshop Haus C EG am 13.6.2019
Meilenstein 7: Teamworkshop Haus C 2.Stock am 19.6.2019
Meilenstein 8: Teamworkshop Haus C 1.Stock verlegt auf Oktober/November 2019
Meilenstein 9: Ethikworkshop Volksanwaltschaft Oktober/November 2019
Meilenstein 10: Vorstellung des Maßnahmenkatalogs Dezember 2019

Ende: Dezember 2019